|
Setzen, Sex!
Das Pseudonym Dr. Jochen Sommer war eine Erfindung der BRAVO - Redaktion, unter der ein gewisser Dr. Martin Goldstein den Jugendlichen Ratschläge in Beziehungsfragen gab. Vorher hatte bereits die bekannte Roman-Autorin Marie Louise Fischer in den Serien "Knigge für Verliebte" sowie "Liebe ohne Geheimnisse" als Dr. Christoph Vollmer sowie Dr. Kirsten Lindstroem versucht, den Jugendlichen die Scheu vor dem jeweils anderen Geschlecht zu nehmen.
Dabei war BRAVO nicht immer so modern, aufgeschlossen und auf der Seite der jugendlichen Leser stehend, wie man sich Heute gerne selbst sieht. Egal, ob es um Bikini, Minirock oder die Oben-ohne-Welle im Kino ging: BRAVO hob zunächst immer den mahnenden Zeigefinger und warnte vor sittlichem Moralverfall. «Es gibt nur eine Moral» wurde von BRAVO zu Beginn der 60er Jahre noch propagiert, vergaß dabei jedoch zu erwähnen, dass es von Generation zu Generation vielleicht doch zumindest unterschiedliche Moralvorstellungen gibt.
Erst als Oswald Kolle 1968 mit seinem Kinofilm "Das Wunder der Liebe" und die damalige Gesundheitsministerin Käthe Strobel 1969 mit dem von ihr initiierten Sexualkunde-Atlas begannen, das Volk aufzuklären, sprang auch BRAVO auf den Zug. Hieß es jetzt vormittags in der Schule «Setzen, Sex!» und der Abend einem Kinobesuch für Oswald Kolles neuen Streifen vorbehalten war, so füllte BRAVO quasi die noch Erotikfreie Lücke dazwischen, den Nachmittag. Sofern die Jugend den mit BRAVO lesen verbrachte. Bildlich unterlegt, nichts verschweigend, nahm BRAVO die pubertierende, sexuell jedoch noch vollkommen unerfahrene Leserschaft bei der Hand und katapultierte sich damit in die vorderste Front der Sexualaufklärer.
Was ihr die Wächter von Sitte und Moral jedoch äußerst übel nahmen. «BRAVO klärt nicht auf, BRAVO fordert auf!» So das einhellige Fazit der Aufklärungsgegner nachdem man sich diesen Herrn Doktor Sommer und dessen Konsorten doch einmal etwas genauer angeschaut hatte. Einige BRAVOs landeten nach strenger Überprüfung gar auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften.
Bei Dr. Sommer denken bis Heute viele fälschlicherweise gleich an Aufklärungsserien in BRAVO. Dabei war - und ist bis Heute - Dr. Sommer "lediglich" der Briefkasten-Onkel, der versucht, die drängenden Fragen der sich frisch auf dem Terrain der Sexualität bewegenden Jugend, zu beantworten.
Durchblättert man das Dr. Sommer - Forum vergangener Jahrzehnte und vergleicht es mit den aktuellen Ausgaben (jetzt: Dr. Sommer Team), so scheinen sich die Themen nicht sonderlich geändert zu haben. Waren es in den 70ern noch die 16/17jährigen, denen es nach etwas näherer Information gelüstete, bevor es denn nun endlich zum "Ersten Mal" kommen sollte, so interessiert sich heutzutage bereits der 13jährige dafür, wie er es denn nun "so richtig anstellen" soll. Mit 17 fragt er dann bereits nach Oral- und Analverkehr, da der Sex mit der Partnerin bereits eintönig zu werden droht. So ist es zumindest den Absendern der Briefe zu entnehmen, die - entgegen einer weit verbreiteten Befürchtung - tatsächlich niemals selbst erfunden wurden. In den 70er und 80er Jahren trafen wöchentlich 3.000 bis 5.000 Briefe wissenshungriger Teenager in der Redaktion ein; Heute sind es im Schnitt immer noch circa 500 pro Woche. Das mag vielleicht daran liegen, dass die fragenden Teenies inzwischen so jung sind, dass sie noch keine Briefe schreiben können, oder vor lauter Emails nicht mehr wissen, wie es geht. Sind sie dann im Briefschreibfähigen Alter, sind sexuelle Themen bereits ein alter Hut!
Mit dem Alter der Fragesteller zu Themen der Sexualität ist auch das Alter der BRAVO-Leserschaft insgesamt deutlich gesunken. Wurde Ende der 70er die Zielgruppe noch mit 12 bis 21 Jahren abgesteckt, so sind es Heute eher die 11 bis 17jährigen, auf die BRAVO abzielt. Parallel dazu ist jedoch auch die Auflagenhöhe dramatisch gesunken. Waren es 1985 sage und schreibe 1,6 Million Exemplare, die an den Kiosken wöchentlich auf ihre Käufer warteten, so wird Heute im Optimalfalle mehr als eine Million weniger erzielt. Was aber nicht alleine an BRAVO und seinen Inhalten liegt. BRAVO ist immer noch unangefochten und mit großem Abstand der Marktführer und das Maß aller Dinge bei den Jugendzeitschriften. Jedoch hat man sich mit Spezialtiteln wie BRAVO Girl, BRAVO Sport, BRAVO Poster und BRAVO Foto-Love-Story die Leserschaft selbst abgegraben und sich Konkurrenz im eigenen Hause geschaffen.
Hinzu kommt, dass speziell der Musikmarkt sehr viel diversifizierter geworden ist und mit Special-Interest-Publikationen beispielsweise Musikgenres wie Heavy Metal, Hard Rock und HipHop gesondert und viel gezielter abgedeckt werden.
Das Ende des Starschnitts
Die schnelle Informationsflut des Internets hat deutlich gemacht, wo die Schwächen der Printmedien zu finden sind: Sie hinken in Ihrer Aktualität deutlich hinterher. Zusätzlich bieten Plattformen wie youtube den gigantischen Vorteil, in einer visualisierten Welt bewegliche Bilder zu liefern. Da kann kein noch so gut gemachtes Magazin heran reichen.
Also hat man sich bei BRAVO auf die eigentliche Stärke des bedruckten Papiers besonnen und bringt vermehrt qualitativ hochwertiges Bildmaterial, zunehmend in Life-Size-Postergröße. Was wiederum den guten alten Starschnitt überflüssig gemacht hat und so erschien dann auch 2004 mit Michael "Bully" Herbig das vorläufig letzte Schnibbel-, Sammel- und Klebepuzzle, nachdem es bereits in den 90er Jahren eine achtjährige Starschnitt lose Zeit gegeben hatte.
Grund für das Einstellen der Starschnitte ist aber nicht nur die gestiegene Druckqualität, sondern wird hauptsächlich von der stetig wachsenden Ungeduld der heutigen Jugend diktiert. Ein Starschnitt, auf dessen Vollendung der Leser - wie bei den Beatles 1965/1966 - ein ganzes Jahr warten soll, ist Heute nicht mehr denkbar. Zu groß ist nämlich die Gefahr, dass der in Portionen gelieferte Star schon längst wieder in Vergessenheit geraten sein könnte, noch bevor das letzte Starschnitt-Teil geliefert wurde.
Selbst ein zwölfteiliger Roman oder eine sechsteilige Foto-Love-Story - beides früher sichere Garanten für eine Leser-Blatt-Bindung - ist Heute der Leserschaft nicht mehr zumutbar. Romane erscheinen in BRAVO gar nicht mehr, Foto-Love-Storys sind jeweils abgeschlossen auf eine einzige Ausgabe beschränkt.
Doch zurück zur Auflagenhöhe! Auch die Tatsache, dass BRAVO seit einigen Jahren - wahrscheinlich ohne dass dahinter eine bewusste Strategie der Verantwortlichen steckt - zu ihren ursprünglichen Wurzeln zurück gekehrt ist, verhalf ihr nicht zu einem neuerlichen, deutlich spürbaren Schub bei der Druckauflage.
Hässlichkeit verkauft sich gut
Schauen wir zurück auf die BRAVO-Historie! 1956 war BRAVO als Magazin für Film und Fernsehen gestartet. Teilweise umfasste das herausnehmbare Fernsehprogramm 16 Seiten bei gerade einmal 48 Seiten Heftstärke. Musik - damals noch vorherrschend Jazz - fand nur am Rande, auf gerade einmal einer Doppelseite, Erwähnung. Beleg dafür ist auch, dass die BRAVO eigene Star-Auszeichnung, der OTTO, zunächst nur an Künstler aus den Bereichen Film und Fernsehen verliehen wurde. Trotz Elvis Presley, Peter Kraus, Conny Froboess und Freddy Quinn. Da diese jedoch auch in Kinofilmen mit wirkten, passten sie dann doch wieder in das BRAVO - Anforderungsprofil für berichtenswerte Künstler.
Ab 1960 wurde der Sangeskunst ein eigener OTTO zugestanden, jedoch wandelte sich BRAVO erst Mitte der 60er Jahre mit dem aus England kommenden Beatboom zu einem hauptsächlich auf Musik ausgerichtetem Jugendmagazin. Das jedoch auch nicht spontan und so ganz freiwillig!
Der erste Artikel über die Rolling Stones war mit «Hässlichkeit verkauft sich gut» überschrieben. Und beim ersten Portrait über die Beatles war sich der Autor sicher, dass die Mode mit den drei um den Hals hängenden Gitarren nur eine kurzlebige sein dürfte, die schon recht bald von der nächsten Masche abgelöst werden dürfte. Erst, als die Leserschaft immer lauter "Yeah Yeah Yeah" schrie und Konkurrenzblätter wie "Musik-Parade" und "o.k" drohten, der BRAVO das Wasser - sprich die Leserschaft - abzugraben, vollzog BRAVO die Metamorphose vom Magazin für die Augen zum Magazin für die Ohren. Und in den Köpfen der meisten oberflächlichen Betrachter ist BRAVO bis Heute ein Musikmagazin geblieben.
Nimmt man jedoch ein aktuelles Exemplar zur Hand, so scheint sich der Kreis zu den BRAVO-Anfängen als Film- und TV-Magazin wieder zu schließen. Auf den Innenseiten finden sich weitaus mehr Berichte über TV-Soap-Stars, aktuelle Kino-Hauptdarsteller und Helden von Fernseh-Staffel-Serien, als Sangeskünstler. Miley Cyrus beispielsweise, die zwar auch singt, sehr viel bekannter jedoch durch ihre Rolle der Hannah Montana in der gleichnamigen TV-Serie ist, erschien bereits 32 Mal auf dem BRAVO - Cover. Kristen Stewart, Robert Pattinson und Taylor Lautner, allesamt Stars der Kino-Trilogie Twilight Saga waren insgesamt 31 Mal auf dem Titelbild vertreten.
Ebenso fleißig berichtet - und unterstützt dadurch natürlich auch - BRAVO über deutsche Fernsehformate, wie DSDS, Big Brother oder Germany′s Next Top-Model. Insider-Storys, hauptsächlich Intrigen der Kandidaten untereinander (BRAVO-Jargon: «Wer hat wen gedisst»), finden sich fast in jeder Ausgabe, so lange die jeweils gerade aktuelle Staffel läuft. Hintergrund dürfte unter anderem die Verschmelzung der großen Medienkonzerne sein, wo kein Außenstehender mehr so genau zu sagen weiß, wer denn nun letzten Endes woran beteiligt ist und unterm Strich das Geld daran verdient.
Schließlich gibt es da ja noch die neuen Standbeine von BRAVO, wie BRAVO TV, wo man auf den Goodwill des ausstrahlenden Fernsehsenders Rücksicht nehmen muss. Oder die inzwischen in fast 75 Auflagen erschienene CD-Serie BRAVO Hits. Da muss man schon schauen, dass niemand in dieser Nahrungskette verärgert wird, denn eine regelmäßige Auflage jenseits von 300.000 bringt nicht nur Gold und Platin, sondern spült auch ein hübsches Sümmchen Geld in die Kassen. Und dann gibt es da ja auch noch Black Hits und Kuschelrock, beides ebenfalls BRAVO-Audio-Kinder.
Ironischerweise war es aber doch wieder die Musik, die BRAVO zwischenzeitlich ein neuerliches Auflagenhoch bescherte. Vier Schüler aus Magdeburg, die sich Tokio Hotel nennen, boten sich BRAVO als Vehikel zum Karrierestart an und trieben die Anzahl der verkauften Exemplare 2005/2006 wöchentlich um geschätzte 150.000 bis 200.000 in die Höhe. Eine klassische Win-To-Win Situation, als sei sie einem Handbuch für bewährte Marketingstrategien entnommen.
Als es den Jungs um Bill Kaulitz in Deutschland zu eng wurde und die Entourage rund um die Band die Feststellung traf, dass BRAVO genug für sie getan habe, fanden Tokio Hotel in BRAVO nicht mehr statt. Die Auflagenzahl fiel auf ihren ursprünglichen Wert zurück, während - wie man so hört - die Magdeburger Schülerband gerade dabei ist, den Rest der Welt von Andorra bis Zimbabwe zu erobern.
Jedoch sind es gerade auch diese Schülerbands, die dafür garantieren, dass A.) BRAVO weiterhin erfolgreich existieren wird und B.) wir in regelmäßigen Abständen über ein anstehendes Jubiläum berichten können!
BRAVO als Objekt der Begierde
Inzwischen ist BRAVO - hauptsächlich Ausgaben aus den 60er und 70er Jahren - zu einem begehrten und stets teurer werdenden - Sammelobjekt geworden. Zwar sind auf Grund der hohen Auflagen jener Dekaden noch genügend Exemplare im Umlauf, jedoch findet man kaum noch Zeitschriften, die die inzwischen vergangenen 30 bis 50 Jahre völlig unbeschadet überstanden haben. Meist fehlen Poster oder Starschnitt-Teile oder die Lagerung in feuchten Kellern ließ den Zahn der Zeit am Papier nagen.
Vorsicht also, wenn Sie sich gerade die Zusammenstellung einer BRAVO-Kollektion ausmalen und bei ebay das Wort "Dachbodenfund" lesen! Auch die Klassifizierung "Top-Zustand" bedeutet noch lange nicht, dass eine Zeitschrift den Eindruck macht, sie komme gerade frisch aus der Druckerpresse. Viele der Anbieter meinen nämlich, dass es als Geschenk zu einem runden Geburtstag vollkommen ausreichend ist, wenn auf dem Titelbild noch gerade so das Datum erkennbar ist.
Dennoch scheuen sich diese Anbieter nicht, trotz selbst bereits erkannter und aufgelisteter Mängel im Sofortkauf 30 bis 40 Euro auf zu rufen. Wohl gemerkt pro Exemplar!
Lobenswert ist daher die Bemühung der Internet-Seite www.bravo-archiv.de, die komplette und vollständige BRAVO-Sammlung all jenen zugänglich zu machen, denen sowohl der finanzielle, als auch der zeitliche Aufwand entschieden zu hoch sind, selbst eine Kollektion zusammen zu stellen.
In digitalisierter Form kann sich dort jeder Interessierte einzelne Ausgaben, ganze Jahrgänge aber auch gesonderte Inhalte, wie Musikcharts, Foto-Love-Storys, Titelbilder, Aufklärungs-Serien, komplette Künstler-Historien usw. zukommen lassen. Und das zu sehr moderaten und akzeptablen Preisen. Der Vorteil: Sie können bereits Morgen mit dem Lesen und dem Schwelgen in eigenen Jugenderinnerungen beginnen.
|