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Zwischen den beiden oben abgebildeten BRAVO-Covern liegen 55 Jahre. Anders gezählt: 2.865 Ausgaben! Anlass genug,
eine kleine Rückschau zu halten und zu versuchen, den anhaltenden Erfolg von BRAVO zu erhellen.
Preisfrage: Was haben Papst Benedikt XVI, Eisbär Knut, das jüdische Mädchen Anne Frank, die Pläne einer bemannten Landung auf dem Mars, Fußballkaiser Franz Beckenbauer und die Anschläge des 11. Septembers 2001 miteinander zu tun? Nun, auf den ersten Blick rein gar nichts, gäbe es da nicht die wöchentliche Wiederkehr der populären Zeitschrift mit den fünf großen Buchstaben.
Dabei ist die im Herbst 55 Jahre jung werdende Dame BRAVO weder ein Polit- oder Kirchenblatt, noch ein Sportmagazin à la Kicker und erst Recht kein Science-Fiction Groschen-Heft. BRAVO ist schlicht und ergreifend ein Jugendmagazin, weniger Wohl wollend hier und da auch schon einmal Teenie-Postille gescholten. Und in solch einer Zeitschrift für Teenager wird eben alles thematisiert, was die Zielgruppe interessiert, und zwar immer schön in der gerade vorherrschenden Sprache der Jugend aufbereitet. Schließlich hat man den Leser ja fest im Blick, gibt sich als Kumpel oder Freundin und da ist Karl Ratzinger eben mal "ein cooler Typ", die Pläne der bemannten Planetenerforschung sind "einfach abgefahren" und Eisbär Knut ist einfach nur "geil".
"COOL" oder "GEIL" würde BRAVO Heute wahrscheinlich auch heißen, hätte sie erst im aktuellen Jahrtausend das Licht der Welt erblickt. Somit würde man gleich mit dem Titel signalisieren, auf wen man es als potentiellen Leser, sprich Käufer, abgesehen hat. So bleibt es aber bei BRAVO und das jetzt bereits - unvorstellbar - seit August 1956.
Schund und Schmutz
55 Jahre BRAVO! Das sind 2.865 Ausgaben (Stand 24. August 2011), fast eine Viertel Million Seiten, alle Hefte aufeinander gestapelt 12 Meter hoch und 460 Kilogramm schwer. In der Deutschen Zentral Bibliothek in Frankfurt, in der alle Zeitschriften seit Kriegsende archiviert werden, füllt BRAVO zwischenzeitlich 220 Bände (13 Hefte pro Band, vier Bände pro Jahr). Diese Zahlen sind beeindruckend, belegen aber gleichzeitig, dass es fast unmöglich ist, in einem Artikel über wenige Seiten das Essentielle aus über einem halben Jahrhundert Populärkultur heraus zu filtern.
Lässt man im Bekanntenkreis das Stichwort BRAVO fallen, so erhält man als Antwort immer die gleichen Schlagworte: Aufklärung, Starschnitt und Foto-Love-Story. Wird ihr das gerecht? In der bis 1990 noch existierenden DDR galt BRAVO gemäß § 146 StGB als Schund- und Schmutzerzeugnis des kapitalistischen Klassenfeindes. Auch das wird ihr sicherlich nicht gerecht!
Wo also liegt das Geheimnis von BRAVO, dieser ununterbrochene Erfolg, der nun schon mehrere Generationen lang anhält?
BRAVO wird von Menschen gemacht und wahrscheinlich ist es diesen Menschen zu verdanken, dass BRAVO immer eine Garantie dafür war - und immer noch ist -, näher an den Stars zu sein, als alle übrigen Teenager-Magazine.
My Tits Are Bigger!
In den 50er und 60er Jahren war das Chefreporter Thomas G. Beyl (das G. steht für Georg), in dessen Wohnzimmer James Dean zu nachtschlafender Zeit Bongos spielte und damit die Nachbarschaft zur Weißglut brachte. Diese Freundschaft mit James Dean verhalf Thomas G. Beyl zu einem engen Kontakt zu Elvis Presley und öffnete ihm die verzierten Eisentore der Villa Graceland zu Privataudienzen. Die Freundschaft zu Elvis Presley wiederum, brachte Beyl später ganz nahe an die Beatles und die Rolling Stones heran. So war Thomas G. Beyl weltweit der einzige Journalist, der zur Trauung von Mick Jagger und Bianca Pérez-Mora Marcias 1971 in St. Tropez offiziell geladen war. Ebenso wurde Thomas G. Beyl Augen- und Ohrenzeuge, als Yoko Ono nach einer langen Aufnahmesession in den Abbey Road Studios mit kritischem Blick auf Paul McCartneys Frau Linda leise aber dennoch unüberhörbar zu John Lennon den Satz sprach, der das Schicksal der Beatles besiegelte und damit das endgültige Aus der größten Band aller Zeiten bedeutete: «My tits are bigger!» Das nennt man wohl "Dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wird".
Hautnah dabei war auch Jörg Fleming, BRAVO-Reporter von 1967 bis 1971. Er traf just in jenem Augenblick im schweizerischen Montreux zu einem Interview auf Deep Purple, als dort gerade - neben dem Casino - ein Fährdampfer Opfer eines Feuers wurde. Auf genau jenem Dampfer waren die Rockmusiker tags zuvor - zur Erholung vom Aufnahmestress an ihrem Album "Machine Head" - über den Genfer See geschippert und hatten nun mit ansehen müssen, wie das Gefährt mit viel Rauch auf dem Wasser in den Fluten versank. So war BRAVO-Reporter Jörg Flemming also hautnah dabei, als wieder einmal Rock-Geschichte geschrieben wurde und Deep Purple ihren größten Klassiker aus der Taufe hoben: "Smoke On The Water". Der anschließend in BRAVO erschienene Artikel über Deep Purple war treffend mit "Deep Purple in der Feuertaufe" überschrieben.
Siggi Niedergesäß (BRAVO-Pseudonym K.E.Siegfried) war weltweit der erste Musik-Journalist, der die gerade fertig ab gemischten Tapes einer völlig neuen Band - Queen (!) - anhören durfte. Und das quasi en passant, da der gute Siggi im Büro des Presseagenten Tony Brainsby ursprünglich weilte, weil er auf einen für zehn Uhr morgens zugesagten Interview-Termin mit niemand Geringerem als Paul McCartney wartete. So nutzte Brainsby den Augenblick, um K.E.Siegfried und damit der größten Jugendzeitschrift Europas, doch mal seine neuen Schützlinge etwas näher zu bringen. Ein alter PR-Trick, denn zufällig waren auch alle vier Queen-Mitglieder anwesend und zufällig hatten die auch noch Zeit für ein Interview und Fotos. Das Interview mit Paul McCartney fand übrigens erst am Nachmittag statt. Laut Paul McCartney sei von zehn Uhr nie die Rede gewesen...
Den Hype um die singende, tanzende und schauspielernde Familienbande Kelly Family Mitte der 90er Jahre hätte es ohne BRAVO-Reporterin Wilma Schönhoff nicht gegeben. Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Sie war jahrelang, fast rund um die Uhr, dermaßen nahe dabei, dass jeder Außenstehende in ihr wie selbstverständlich ein weiteres Familienmitglied vermutete. Die Jahre 1995 bis 2000 sind in BRAVO voll von Exklusivstorys über die Kellys. 23 BRAVO-Titelbilder sind Beleg für den Stellenwert der Band nicht nur in BRAVO, sondern auf dem gesamten Musikmarkt. Ohne Wilma Schönhoff und ihre einfühlsamen - jedoch stets respektvollen und immer den Abstand wahrenden - Insiderstorys einfach undenkbar!
In die immer größer werdende Schar der BRAVO-Reporter, die das real existierende Bindeglied zwischen Stars und Lesern verkörpern und mit Lebhaftigkeit füllen, reiht sich mühelos Alex Gernandt, inzwischen langjähriger und immer noch Stellvertretender Chefredakteur der BRAVO ein. Die Liste der Stars, zu denen Alex engen und sehr oft auch exklusiven persönlichen, zuweilen freundschaftlichen Kontakt unterhält, würde eine ganze Zeitschrift füllen. Stellvertretend und um keinen Star in seiner Wertigkeit zu deplatzieren, sei hier nur einer genannt: Michael Jackson, der King of Pop!
Mehr als ein Dutzend Mal - öfter als viele Andere, die heute von sich behaupten, enge Freunde von MJ gewesen zu sein - traf Alex Gernandt auf Jacko. An allen Ecken der Welt sind sich Alex und Michael Jackson begegnet. Von Istanbul bis Chicago, von Tunis bis Cannes. Alex Gernandt war dabei, als Michael Jackson in den Favelas von Rio de Janeiro sein Video zu "They Don′t Care About Us" drehte und war weltweit der einzige Journalist, der zugelassen war, als im Mai 1995 in den Universal Studios in Hollywood, in zwei langen Wochen der bis Heute immer noch teuerste Videoclip aller Zeiten produziert wurde: "Scream". Nicht von Ungefähr sondern mit Recht war Alex Gernandt also einer der gefragtesten Interviewpartner sämtlicher Deutscher Medien, als Michael Jackson im Juni 2009 plötzlich und überraschend starb. Wer besser, als Alex Gernandt, hätte Jackos musikalische Hinterlassenschaft und die menschliche Lücke, die er hinterließ, besser würdigen können, als der Mann, der ihn näher als viele andere Journalisten kennen lernen durfte. &
Die Entstehung eines Logos
Da BRAVO jedoch nicht nur Texte liefert, sondern gleich gewichtig auch Fotos, die teils den Text untermalen, teils aber auch eigene Geschichten erzählen, gehören in die Auflistung der Mitarbeiter, die für den hart erkämpften Stellenwert der BRAVO verantwortlich sind, selbstverständlich auch die Bildreporter.
Leider bleiben sie oft anonym, da ihre Namen - wenn überhaupt, meist recht klein und dann auch noch hochkant - Erwähnung finden. Drehen wir also die BRAVO einmal um 90 Grad nach rechts und lesen einmal die Namen derjenigen, die in 55 Jahren für BRAVO im entscheidenden Moment auf die Auslöseknöpfe ihrer Kameras geklickt haben. Aus der Zeit, als die Zeitschriften ihre Bilder noch nicht über Fotoagenturen zusammen kauften, sondern selbst Fotografen auf der Gehaltsliste hatten oder diese gegen Honorar und Spesen ihren Dienst versahen, seien hier stellvertretend Didi Zill und Wolfgang "Bubi" Heilemann aufgeführt.
Dieter "Didi" Zill war in den 60er Jahren mit "Didi And His ABC-Boys", sowie der Gruppe "Batmen", selbst professioneller und erfolgreicher Musiker. Höhepunkt seiner Karriere war, als er 1965 mit seinen ABC-Boys im Vorprogramm der Rolling Stones auftreten durfte. Nach einer Meinungsverschiedenheit mit seiner Gruppe kam der Anruf von BRAVO und plötzlich wurde aus dem Gitarristen ein Fotograf. Mit großer Leidenschaft lernte Didi autodidaktisch sein Handwerk und schon bald konnte er all jenen, denen er vorher auf der Bühne nachgeeifert hatte, persönlich begegnen. Creedence Clearwater Revival, Tina Turner, Neil Diamond und Pink Floyd sind nur einige der Stars, die Didi Zill den BRAVO-Lesern optisch nahe gebracht hat. Und nicht nur das: Seine Portraits waren so gut, dass er sogar einige Plattencover für beispielsweise Boney M, Udo Jürgens, Peter Maffay und sogar Deep Purple schießen durfte.
Nicht nur dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wurde, sondern Geschichte - wenn auch unbeabsichtigt - selbst schreiben, das ist Bubi Heilemann geglückt. Wolfgang "Bubi" Heilemanns Name ist nämlich untrennbar mit den schwedischen Megastars ABBA verbandelt. Hier die Geschichte: Bei einer Fotosession, die - wie immer - unter enormem Zeitdruck ablief, hielt Gitarrist Björn Ulvaeus "seinen" übermannshohen Glitzerbuchstaben (die Initialen von ABBA), die Bubi Heilemann extra hatte anfertigen lassen, spiegelverkehrt in die Kamera. Niemand bemerkte den katastrophalen Faux Pas bis Bubi Heilemann - nachdem ABBA bereits zum nächsten Termin in einem TV-Studio weilten - die Polaroids einer ersten Überprüfung auf Drucktauglichkeit unterzog.
Unter Flüchen eilte er zu ABBA ins Fernseh-Studio um ihnen kleinlaut mit zu teilen, dass die Fotosession wiederholt werden müsse. Es folgte eine heftige, auf Schwedisch geführte, Diskussion aller vier ABBA-Mitglieder, bis sich Björn Ulvaeus grinsend Bubi Heilemann zuwandte: «Bubi, that's great! We love it!» Seit diesem Zeitpunkt erschien jede ABBA-Platte mit dem spiegelverkehrten "B" als offiziellem Band-Logo und ist heute sogar als geschützte Marke eingetragen. Ob Bubi Heilemann - wie es ihm zustehen würde - Tantiemen für die Nutzung des von ihm "kreierten" Signets kassiert, ist leider nicht bekannt.
All den vielen Menschen, Journalisten, Fotografen, sowie mehr als einem Dutzend Chefredakteuren, Grafikern, bis hin zur freundlichen Dame vom Empfang, ist jedoch eines nicht gelungen, was eine Person geschafft hat, die es in realiter gar nicht gibt. Auch keiner der Heerscharen von Stars, Superstars und Megastars, die sich in BRAVO textlich und bildlich wieder fanden, kann von sich behaupten - quasi als Synonym - immer wieder in einem Atemzug mit BRAVO genannt zu werden. Dieses einzigartige - vielleicht zweifelhafte - dennoch durchaus adelnde Privilegium, hat Dr. Jochen Sommer für sich alleine gepachtet.
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